Eines der seltsamsten Phänomene dieses Universums ist die Empfindung. Finde ich jedenfalls.
Wir haben keine Ahnung, was Empfindungen eigentlich sind. Reizübermittlungen, die unsere Nervenbahnen entlanglaufen? Ja, das ist sicher richtig, ohne Übertragungen keine Empfindung, aber hat denn eine Ameise auch Empfindungen? Wenn ja, wie sieht es mit einer Zwiebel aus oder einer Blaualge? Wenn ja, haben dann unsere Computerprogramme auch Empfindungen? Tut es dem Mozilla Firefox-Browser weh, wenn er eine "404-Seite nicht gefunden" Fehlermeldung bekommt? Wohl eher nicht.
Aber wo fängt die Empfindung an und wo hört sie auf? Wird es jemals Computerprogramme geben, die sich freuen können oder ärgern? Fangen wir mal klein an...
Meine Durst-Maschine
Ich nehme einen Stein und lege ein Lineal darauf, so dass eine kleine Wippe entsteht, die ich mit der Hand bedienen kann. Ich lege einen weiteren Stein auf eine Seite der Wippe und teste die "Maschine", indem ich mit den Fingern das obere Ende der Wippe betätige. Der Stein fliegt nach oben und landet mir im Auge. *ouch!*
Okay, diesmal ziehe ich mir lieber eine Schutzbrille an und hänge eine Glocke über der Wippe auf. Ich betätige die Wippe und der Stein lässt im Flug die Glocke erschallen. Dies ist mein simples mechanisches Gerät, um eine Glocke klingeln zu lassen.
Ich verfeinere die Apparatur, indem ich die Glocke durch einen Elektromagneten auslösen lasse, der das obere Ende der Wippe schlagartig nach unten zieht und so den Stein in die Luft befördert.
Aber das reicht mir noch nicht. Ich baue nun einen Sensor als Füllstandsüberwachung in eine Saftflasche ein und lasse fortan dann den Elektromagneten die Wippe betätigen, wenn der Flüssigkeitsspiegel unter einen bestimmten Wert sinkt. Leert sich die Flasche, ertönt automatisch die Glocke.
Bisher benötigt mein Apparat keine Empfindungen, um das Ziel zu erreichen. Es ist alles ein automatischer Vorgang, der keine Willensfreiheit zulässt.
Doch was ist eine Zelle anderes als eine chemische Apparatur, die bestimmte Funktionen erfüllt? Unser Organismus (oder der einer Stechpalme) setzt sich aus Zellen zusammen, die nichts anderes tun, als physikalischen Prinzipien zu gehorchen. Wenn wir Durst haben (was sich durch die Auslösung eines Flüssigkeitssensors im Körperinneren bemerkbar macht), könnten wir eine Glocke läuten (oder vielleicht auch etwas Sinnvolleres unternehmen), dazu ist keine Empfindung nötig. Aber wir spüren den Durst - etwas, was meine mechanische Apparatur natürlich nicht kann.
Ich frage mich, wieviele einfache chemische Vorgänge dazu nötig sind, um eine Empfindung auszulösen.
Nerven fühlen nichts
Mit einer ausreichend großen Anzahl von Freunden (nach heutigen Schätzungen ca. 100 Milliarden bis 1 Billion) können wir uns die Diskrepanz zwischen Nervenleitung und Empfindung bewusst machen. Legen wir los!
Wir trommeln unsere Freunde zu einer riesigen Telefonkonferenz zusammen und tauschen Telefonketten aus. Wird ein bestimmter Freund angerufen, ruft dieser einen nächsten an. Er muss gar nichts sagen, und aus Kostengründen lässt er es einfach nur einmal klingeln. Zusammen mit unseren Freunden bilden wir ein gigantisches Telefon-Klingel-Lass-Netzwerk.
Daumen hoch, wir haben soeben das menschliche Gehirn nachgebaut. Dieses Modell der Schaltung ist zwar etwas vereinfacht, aber prinzipiell lässt es sich für dieses Experiment verwenden.
Versuchen wir nun wieder, Durst zu erzeugen. Ein bestimmter Freund dient als Sensor und fängt unter bestimmten Bedingungen an, den nächsten Teilnehmer auf seiner Liste anzurufen. Dieser schaut wiederum auf seine Liste und ruft wieder jemanden an und so fort. Das Signal breitet sich allmählich aus - bei einigen Teilnehmern klingelt das Telefon, bei anderen nicht. Tatsache ist aber, dass kein einziger Teilnehmer dieses Experiments etwas davon erfährt, was er gerade macht. Er hat nichts weiter als eine Liste in der Hand, deren Telefonnummern er anruft, wenn sein eigenes Telefon klingelt. Nicht anderes passiert im Gehirn. Ich frage mich: Wo ist der Durst? Wenn keiner der Freunde/Nerven den Durst spürt, wer spürt ihn dann?
Künstliches Leben
Ist es prinzipiell möglich, ein Lebewesen künstlich herzustellen? Nehmen wir an, wir würden einen Menschen (wie damals die Figur aus Mary W. Shelleys Frankenstein) aus "alten Teilen" zusammenbauen und sein Gehirn entsprechend stimulieren, so dass er zum Leben erwacht. Wenn wir diese Möglichkeit haben, so könnten wir das Ganze auch vollständig im Computer simulieren. Im PC hätten wir dann ein Lebewesen mit allen Empfindungen, die uns vertraut sind.
Aber wir brauchen noch nicht einmal über eine solche Technologie zu verfügen. Beobachten wir einfach, was bei der Entstehung eines Lebewesens passiert.
Am Anfang ist die Zelle. Diese Zelle wurde durch das Kopieren einer anderen Zelle erschaffen und ist folglich ein rein chemisches Gebilde ohne weitere Geheimnisse.
Wir haben nun einen Einzeller oder eine Keimzelle, je nachdem, um welches Lebewesen es sich handelt. Bei den Säugetieren zum Beispiel verschmelzen Eizelle und Spermium zu einem einzigen Wesen, welches sodann damit anfängt, sich durch das Kopieren und Abschnüren von Zellen räumlich auszudehen. Wir können während des gesamten Vorgangs zusehen und werden zu keinem Zeitpunkt so etwas wie ein Bewusstsein feststellen - es gibt lediglich spezialisierte Zellen, die bestimmte Funktionen übernehmen, und zwar automatisch, weil die Naturgesetze es ihnen vorgeben.
Für mich ist die Frage nach dem Bewusstsein in etwa so schwerwiegend wie die nach der Entstehung des Universums aus dem, was wir als Nichts bezeichnen.
Ich bin der Meinung, daß es so etwas wie das Bewusstsein nicht zusätzlich zur Materie und (wissenschaftlich anerkannter) Energie im Universum gibt, sondern dass das Bewusstsein mit der Komplexität neuronaler Schaltungen automatisch entsteht. Was das bedeutet, liegt auf der Hand: Wenn wir einen Computer bauen, der nur komplex genug ist, wird er vermutlich ein Bewusstsein entwickeln können, jedenfalls wüsste ich nichts, was dagegen spricht. Ich finde das schon ziemlich faszinierend.
Hallo Europesbest,
ja, es geht schon um den Decodierer. Nur, dass es keinen Decodierer gibt. Das Gehirn (auch das limbische System) besteht aus Nerven, es ist dort nirgends ein Bewusstsein aufzufinden. Nirgends sitzt ein Mechanismus, der auswertet, wie es im Gehirn so allgemein aussieht, der etwas für unser Bewusstsein übersetzt, sondern es gibt nur ein System aus Nerven, Hormonen, Rezeptoren und anderen Apparaten. Auch wer alle an einer bewussten Entscheidung beteiligten Nerven der Reihe nach analysiert, kann keinen bewussten Prozess erkennen, sondern nur eine Abfolge von Signalen. Wo ist das Bewusstsein? Und was ist es? Hast du eines? Habe ich eines? Kannst du wissen, ob ich eines habe?
Greetings
Hexe