Etwas zu benennen, ist manchmal nicht leicht. Wenn ich etwas benennen möchte, muss ich es erst einmal grundsätzlich von anderen Dingen unterscheiden. Indem ich eine !INFO Entität Entität INFO! "Tisch" nenne, unterscheide ich sie in diesem Fall von allen Möbeln, die ich "Stuhl" nenne.
Es ist gut, daß es Worte für Tische und Stühle gibt, und es ist auch gut, daß ich das Wort "Wort" als Bezeichnung für etwas, das eine Bezeichnung für etwas ist, verwenden kann. Aber Wörter oder Namen beinhalten meistens auch eine Art Weltbild, und das kann oft in die Irre führen.
Bei Tischen und Stühlen mag das noch nicht sehr dramatisch sein, obwohl sich schon hier zeigt, wie leichtfertig wir damit umgehen, Dinge zu benennen.
Was ist das denn genau, ein Tisch? Ein rechteckiges Ding aus Holz mit vier Beinen, an dem man sitzt, um zu essen? Ein Tisch ist nicht deswegen weniger ein Tisch, wenn er rund ist statt eckig. Ebenso kann ein Tisch auch drei Beine statt vier haben - oder sogar nur eines, wenn es beliebt. Ein Tisch kann aus Metall oder Plastik sein - wer talentiert ist, mag sich gar einen Tisch aus Eis fräsen.
Vielleicht definieren wir einen Tisch ja durch seine Funktion als Tisch. Immerhin scheint es Sinn zu machen, wenn wir sagen, daß wir etwas "als Tisch benutzen" wollen. Das ist nicht selbstverständlich, zum Beispiel erscheint es absurd, etwas "als Joghurt" zu benutzen. Ein Tisch hingegen ist eine Art Werkzeug, deshalb kann alles, was denselben Zweck erfüllt, "als Tisch verwendet" werden. Trotzdem wird ein Tisch nicht zum Bett, nur weil ich mich aus purer Müdigkeit darauflege, um zu schlafen.
Unsere Vorstellung von einem Tisch ist eine starke Gewohnheit, und bei dem Gedanken an Tische können wir uns leicht ein Bild machen. Ist das nicht interessant?
Nein.
Na gut, ich stimme zu. Was ich aber faszinierend finde, ist der Gedanke zum Beispiel an Elektronen, an Kultur, an Liebe, um nur ein paar Begriffe zu nennen.
Was sind Elektronen?
Aus dem Physikunterricht wissen wir vielleicht noch, daß Elektronen punktförmige Teilchen sind, die um den Atomkern kreisen. Diese Vorstellung wird "Bohrsches Atommodell" genannt und hilft uns, einige Eigenschaften von Atomen zu begreifen.
Alles Quatsch? Elektronen kreisen nicht um den Atomkern, sondern halten sich mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit in einem bestimmten Orbital um den Atomkern auf?
Vielleicht ist das Orbitalmodell genauer als das Bohrsche Modell, doch was bedeutet das eigentlich, was wir hier machen? Wir tun nichts weiter, als uns ein Bild von Dingen zu machen, die wir in ihrer Wirklichkeit nicht begreifen können.
Ein Elektron als "punktförmiges Teilchen" zu beschreiben hat denselben Sinn wie das Bohrsche Atommodell zu benutzen.
Ein Elektron kann als Teilchen oder als Welle beschrieben werden, es kann etwas, das wir als !INFO Tunneleffekt Tunneln INFO! bezeichnen, wir können ihm einen !INFO Spin Spin INFO! und eine Ladung zuordnen und einen Detektor aufstellen, um es aufzuspüren.
Oft fällt in diesem Zusammenhang das Wort "Welle-Teilchen-Dualismus", welches genau genommen keine Widersprüchlichkeit in den Eigenschaften eines Elektrons bezeichnet, sondern nur eine Widersprüchlichkeit in unserem Modell der Realität.
Ein Elektron verhält sich nicht manchmal als Welle und manchmal als Teilchen - es verhält sich, wie Elektronen sich verhalten. Der Dualismus ergibt sich nur, wenn wir im Verhalten von Elektronen nach Ähnlichkeiten mit anderen Dingen suchen, die näher an unserer Alltagserfahrung liegen.
Letztendlich bleibt uns vom Elektron nur eine Erfahrung davon, was es "macht", statt eine Vorstellung davon, was es "ist". Ein Elektron ist das, was dafür sorgt, daß ein Detektor "Klick" macht, nichts weiter.
Wir gehen mit unserer Alltagserfahrung an Experimente mit Elektronen heran und möchten zum Beispiel wissen, welchen Weg ein Elektron durch einen Versuchsaufbau genommen hat. Mittlerweile wissen wir, daß diese Frage ihrem Wesen nach nicht gültig ist - ein Elektron ist kein beobachtbares Teilchen, welches auf irgendeinem bestimmten Weg von A nach B fliegt - wir müssen uns damit zufrieden geben, daß unter bestimmten Umständen - gekoppelt an bestimmte Wahrscheinlichkeiten - unsere Apparate klicken, und diese Wahrscheinlichkeiten können wir erforschen.
In demselben Maße, wie es leicht ist, von Elektronen zu sprechen, ist es schwer, sich klarzumachen, daß unsere Vorstellungen davon, was ein Elektron ist, zwangsläufig nur Modelle sind.
Was ist Kultur?
Intuitiv haben wir wohl alle ein Verständnis dafür, was Kultur im Sinne von zivilisiertem Verhalten ist. Man ißt zum Beispiel keine Mitmenschen. Würden wir beschließen, daß es legitim sei, seine Mitmenschen zu verspeisen - was wäre dann noch Kultur?
Da es viel rationaler ist, tote Menschen als Nahrung zu verwenden, anstatt sie zu verscharren oder zu verheizen, muß diese Regel als eine Art nostalgisches Überbleibsel aus alten Zeiten betrachtet werden. Andere Säugetiere züchten wir schließlich extra zu dem Zweck, sie zu essen. Ich habe mich ehrlich gesagt zu wenig mit der Thematik auseinandergesetzt und weiß deshalb nicht, ob es Kulturen auf der Erde gibt, in denen traditionell Menschen gegessen werden, aber vorstellbar ist es ja ohne weiteres, und mir geht es hier nur um eine theoretische Betrachtung.
Wenn wir unsere Kultur mit einer vergleichen, in der Mitmenschen verzehrt werden, so bleibt meines Erachtens nicht mehr viel von dem Begriff "Kultur" übrig, obwohl es uns leicht fällt, diesen Begriff intuitiv mit Inhalt zu füllen. Wenn in Filmen beispielsweise der Kontakt mit Außerirdischen dargestellt wird, dann impliziert die Darstellung der Aliens zumeist eine Art von Kultur, die der unseren sehr ähnlich ist - ähnlicher als die menschenverzehrender anderer Kulturen, was natürlich großer Quatsch ist, denn es ist irrational, potentielle Nahrungsmittel verkommen zu lassen. Somit bildet der Begriff "Kultur" ein weiteres Beispiel dafür, daß wir bei der Bildung unserer Modelle der Welt einer gewissen Subjektivität verhaftet sind.
Kann ich letztlich die Realität begreifen?
Ich rede die ganze Zeit von Modellen der Realität, also Modellen von etwas, das ich nur durch Modelle begreifen kann. Schon allein definitionsgemäß kann ich deshalb gar keine Aussage darüber treffen, ob ich die Realität begreifen kann.
Ich persönlich glaube es jedenfalls nicht.
Ich müßte schon selbst das Universum sein, um es vollständig zu erfassen, und selbst dann müßte ich noch zusätzlich ein Bewußtsein von allen Prozessen haben, die sich in mir abspielen, was natürlich absurd ist. Meine Herangehensweise an diese Frage ist jedoch eine andere.
Das menschliche Gehirn ist in teleonomischer Hinsicht dazu berufen, Feinde am Horizont auszumachen, die Jungen zu verteidigen, Beeren aufzufinden und so weiter. Es wurde nicht dazu gebaut, die Grenzen des Universums zu verstehen.
Ich sehe keinen Grund dafür, daß wir - anders als ein Computer - alle Aspekte der Realität begreifen können sollten. Es fängt schon bei recht banalen Überlegungen wie zum Beispiel darüber, was eigentlich "Zeit" ist, an, sehr haarig zu werden. Es ist wie immer überaus leicht, Begriffe zu verwenden wie "Zeit ist eine Dimension", aber verstanden hat man dadurch nichts, und die Frage, warum man sich durch alle anderen Dimensionen in beide Richtungen bewegen kann, durch die Zeit aber scheinbar nur in einer, ist vermutlich nicht so einfach zu beantworten, weil unser Gehirn daran gewöhnt ist, zu funktionieren, ohne sie zu stellen.
Ich stelle mir das Gehirn als eine Datenbank mit verschiedenen Tabellen vor. Es gibt viele Tabellen, die für unterschiedliche Zwecke genutzt werden können, aber man kann eben auch nicht beliebiges Material einlagern. Wir denken in anderen Kategorien, als das Universum funktioniert. Wenn ich sage "Claudia hat eine Erkältung", so scheine ich damit eine sinnvolle Aussage über das Universum zu treffen. Was aber, wenn es niemanden namens Claudia gibt? Dann wissen wir trotzdem noch, was dieser Satz bedeutet, obwohl er offenkundig nichts mehr mit dem Universum zu tun hat.
Die Mathematik funktioniert auf dieselbe Weise. Die Formel "a = 2b" sagt uns etwas über das Verhältnis von a und b, obwohl es so etwas wie a und b nicht wirklich gibt. Wie können wir etwas über Dinge wissen, die es nicht gibt? Ich glaube nicht, daß unser Gehirn in der Lage ist, die Realität als etwas zu erfahren, das über Modelle hinausgeht.
Flatland
Flatland ist ein gutes Beispiel für die Möglickeit, dass das Gehirn gar nicht ausreicht, um auch nur ein adäquates Modell der Realität herzustellen. Wie gesagt, ich sehe dies als eine Möglichkeit an und weiss nicht, ob es so ist oder nicht.
Wenn ich mir vorstelle, ich sei ein zweidimensionales Wesen auf einer zweidimensionalen Welt, zum Beispiel ein Kreis, ist es leicht möglich, aufzuzeigen, dass mir grundlegende Informationen über das Wesen der Dreidimensionalität vermutlich verborgen bleiben werden. Ein Kreis ist von oben betrachtet rund, aber wenn ich in einer zweidimensionalen Welt lebte, könnte ich andere Wesen wie mich, also Kreise, nicht als solche wahrnehmen, denn meine Perspektive würde ebenfalls der flachen Ebene verhaftet sein. Stattdessen würde ich sie als Linien wahrnehmen. Meine Wahrnehmung von Kreisen wäre stets dieselbe, unabhängig davon, in welche Richtung der Kreis momentan zeigt.
Ein Quadrat würde sich für mich als eine Linie darstellen, die sich in einem bestimmten Maße ausdehnt und zusammenzieht. Die Linie wäre mindestens so lang wie eine Seitenlänge des Quadrats und höchstens so lang wie die Strecke zwischen zwei gegenüberliegenden Ecken, je nachdem, in welche Richtung das Quadrat im Verhältnis zu mir zeigt.
Wie interessant das Leben in verschiedenen Dimensionen wäre, spiegelt sich darin, wieviele Bücher und Texte es über dieses Thema gibt.
Eine der interessantesten Aspekte des Lebens in niederen Dimensionen ist wohl die Begegnung mit einem höherdimesionalen Wesen. Was wäre, wenn ich in meiner zweidimensionalen Welt einer Kugel begegnen würde?
Die Kugel müßte zunächst in meine Welt eindringen. Während sie sich der Ebene nähert, sehe ich noch nichts von ihr, aber bei ihrem "Aufprall" entsteht plötzlich eine Linie aus dem Nichts, die sich schnell ausdehnt, je nachdem, wie groß die Kugel ist, denn was ich sehe, ist jeweils ein Querschnitt von ihr.
Verschiedene dreidimensionale Objekte verursachen verschiedene Erfahrungen für einen Bewohner von Flatland. Man denke nur an eine vierzinkige Gabel, die von oben in die Welt sticht. Aus dem Nichts würden sich vier kurze Linien materialisieren, und sofern die Gabel nicht tief in die Welt eintaucht, könnte ich keinen Zusammenhang zwischen ihnen feststellen.
Diese Vorstellungen lassen es zumindest möglich erscheinen, dass dem Menschen unter Umständen einige Aspekte der Realität für immer verborgen bleiben, obwohl die Erkenntnisse der Physik nahelegen, dass es sich bei unserem Universum wohl glücklicherweise um eines handelt, dessen Gesetzmäßigkeiten wir in Grundzügen erkennen können.
Realität und Gegenwart
Es deutet einiges darauf hin, dass die von Menschen erlebte unmittelbare Realität, die sich in der Gegenwart abspielt, nichts weiter als eine beliebige ausschnitthafte Sicht der Dinge ist. Wenn ich noch einmal die Elektronen als Beispiel heranziehen darf, fällt mir dazu auch ein interessantes Beispiel ein.
Ein seit Richard P. Feynman einigermaßen verbreitetes Modell sieht die Antiteilchen der Elektronen, die Positronen, als in der Zeit zurückwandernde Elektronen. Genauso ist jedes Antimaterieteilchen ein in der Zeit zurückreisendes Stückchen normaler Materie. Dieses Modell wurde bisher nicht widerlegt, kann also nach Belieben zur Erklärung der Realität herangezogen werden.
Moment - eine Frage!
Ist ein Positron wirklich ein in der Zeit zurücklaufendes Elektron oder ist das nur ein Modell, das ich mir mache?
Was wir von der Realität erkennen können, ist meines Erachtens eben immer ein Modell. Insofern vertrete ich den erkenntnistheoretischen Irrationalismus und halte Modelle der Realität nicht für wahr, sondern bestenfalls für viabel. Alles, was Realität ist, kann man nur dadurch erkennen, dass man es in Begriffen formuliert, unter denen man sich irgendetwas vorstellen kann. Solange es nur eine einzige gültige Vorstellung gibt, verfällt man schnell der Verführung, das eigene Modell als Realität zu akzeptieren, aber manchmal gibt es mehrere passende Modelle, wie eben bei den Elektronen und ihren Antiteilchen.
Wir können Positronen als Teilchen sehen, die dieselbe Masse wie Elektronen und dieselbe Ladung haben, nur mit umgedrehtem Vorzeichen, und die sich bei einem Zusammentreffen mit Elektronen in einem Lichtblitz vernichten.
Ebenso zutreffend ist aber die Aussage, dass Positronen ganz gewöhnlich Elektronen sind, die von einem Lichtblitz (Photon) in die Vergangenheit geschleudert werden. Beide Interpretationen sind gleichwertig. Was das Elektron wirklich ist, bleibt uns verschlossen.
Woher es auch immer kommt, dass wir Menschen eine Sichtweise haben, die es uns nur erlaubt, in eine bestimmte Richtung entlang des Zeitverlaufes zu schauen - physikalisch gesehen sind beide Richtungen in der Zeit völlig symmetrisch und gleichberechtigt, wenn man diffuse Eigenschaften des Universum wie Entropie und dergleichen einmal ausser Acht lässt. Wissenschaftlich gesehen scheint es eher so, als sei alles irgendwie "schon passiert" und als reisten wir nur, dem thermodynamischen Zeitpfeil folgend, von Punkt A im Zeitverlauf zu Punkt B.
Verborgenes
Text folgt.
Mir sind zu Deinen Anmerkungen noch zwei Punkte eingefallen, die ich unter den Überschriften "Realität und Gegenwart" und "Verborgenes" aufgeführt habe.